Krieg und Frieden
Wie US-Armeekreise
den Nahen und Mittleren Osten neu ordnen wollen
Die Vorher-
und die Nachher-Karte
Von Hans Georg
Demnach entsteht auf dem Boden der heutigen Osttürkei und des
Nordirak ein Flächenstaat von der dreifachen Größe Syriens mit dem
Namen "Freies Kurdistan". Der Rest-Irak wird geteilt, die Hauptstadt
Bagdad zerschlagen. Der Iran verliert weite Teile seiner Küsten
sowie die an Pakistan grenzenden Gebiete, wo ein "Freies Baluchistan"
gegründet werden soll. Mekka und Medina, bisher in Saudi-Arabien
gelegen, steigen zu Hauptstädten eines muslimischen Gotteslandes
auf, das an die Südgrenzen Jordaniens stößt - bei Verdoppelung des
haschemitischen Territoriums ("Groß-Jordanien").
Die Ethno-Neuordnung ist in mehreren US-Karten festgehalten, die der
Historiker Dr. Pierre Hillard (Paris) jetzt in Frankreich
veröffentlichte. "Die deutsche Politik spielt bei der Propagierung
dieser Ideen eine große Rolle", urteilt Hillard im Gespräch mit
dieser Redaktion. german-foreign-policy.com publiziert das
US-Kartenwerk erstmals in Deutschland.
Die Empfehlungen für einen völligen Umsturz der bisherigen
Staatenordnung erschienen im "Armed Forces Journal" (AFJ, Juni
2006), einem Periodikum der "Army Times Publishing Company". Das
Unternehmen gibt mindestens zehn Militärzeitschriften heraus (unter
anderem "Army Times", "Navy Times") und gehört zur
Gannett-Medien-Gruppe (Virginia, USA). Die betrieblichen Einkünfte
der Gruppe, der auch die bekannte Tageszeitung "USA Today"
angeschlossen ist, beliefen sich 2005 auf 7,6 Milliarden US Dollar,
heißt es in einer Selbstdarstellung.[1]
Erfahrung
Unter dem Titel "Redrawing the Middle East Map" ("Die Karte des
Mittleren Ostens neu zeichnen") bringt das "Armed Forces Journal"
seinen Lesern zwei Darstellungen nahe, die bei identischen
Kartenumrissen einmal den jetzigen Grenzzustand zeigen ("Before"),
um daraus das zukünftige Bild des Nahen und Mittleren Ostens zu
entwickeln ("After"). Wie es in dem Begleitartikel heißt, befinde
sich die muslimische Welt in einem teils selbstverschuldeten, teils
kolonial ererbten Zustand des Hasses und der Gewalt, denen nur mit
radikalen Grenzverschiebungen begegnet werden könne. Die
Grenzänderungen müssten ethnischen (blutlich-stammesmäßigen) sowie
religiösen Trennungslinien folgen, schreibt der Autor Ralph Peters,
ein pensionierter US-Militär.[2] Peters verhehlt nicht, dass er über
nachrichtendienstliche Erfahrung verfügt.[3] Nach Erkenntnissen
dieser Redaktion hielt sich Peters zuletzt im Frühjahr 2006 in
Bagdad auf.
Unverdient
Das unter Peters' Namen veröffentlichte Kartenwerk empfiehlt die
Zerschlagung des bisherigen Saudi-Arabien, das die größten
Territorialverluste hinnehmen muss. Begründet wird die radikale
Umgestaltung mit dem politischen Zustand der saudischen Herrschaft,
die nicht nur eines der weltweit wohl "bigottesten und repressivsten
Regime" [4] hervorgebracht habe - auch sei ihr "enormer Ölreichtum"
gänzlich "unverdient". Um hier "wirkliche Gerechtigkeit" walten zu
lassen, so das "Armed Forces Journal", müssten die Ölfelder an der
südwestlichen Küste des heutigen Saudi-Arabien abgetrennt und dem
Jemen übereignet werden. Aber nicht nur die saudische
Ressourcenkontrolle gelte es zu schwächen, sondern auch den
religiösen Einfluss, den Riad über die heiligen Stätten (Mekka und
Medina) ausübt. Deswegen sollen das frühere Wirkungsgebiet des
Propheten Mohammed von einem "Heiligen Islam-Staat" verwaltet
werden, der zwar über ein riesiges Territorium verfügt, aber ohne
kontinuierliche Zentralverwaltung ist - die Regierung übernehmen
wechselnde Glaubensschulen.
Ergeben
Einen hundertprozentigen Territorialgewinn offeriert der
US-Militär-Autor den kurdischen Separatisten in der Türkei, in
Syrien, dem Irak und Iran. Diese Staaten verlieren erhebliche Teile
ihrer Gebiete an das Fantasiewesen "Freies Kurdistan", dessen
Gründung nicht länger warten könne. "Freies Kurdistan, vom
(türkischen Diyarbakir) bis zum (iranischen) Tabriz, wäre der dem
Westen am meisten ergebene Staat zwischen Bulgarien und Japan",
heißt es über die uneigennützigen Motive der Territorialamputation
mehrerer UNO-Mitglieder im "Armed Forces Journal".
Entreißen
Um dem Iran die Kontrolle über den Persischen Golf und die dortigen
Ölreichtümer zu entreißen, fällt die gesamte Küstenflanke des Landes
an einen neu zu gründenden Teilstaat des ehemaligen Irak. Auf diese
Weise werden beiden Gegnern westlicher Herrschaftsanmaßungen die
materiellen Grundlagen ihrer Autonomie entzogen, um die sie
gegeneinander konkurrieren müssen. Während der Irak aufhört zu
existieren, verbleiben bei Teheran seine Zentralprovinzen, jedoch
nicht die östlichen Grenzgebiete. Sie gehen teilweise an
Afghanistan, teils an ein weiteres Fantsieprodukt ("Freies
Baluchistan").
Naher und Mittlerer Osten heute
Naher und Mittlerer Osten danach
Amerikanische Armeekreise empfehlen eine ethnische Neuordnung fast
sämtlicher Staaten des Nahen und Mittleren Ostens.
german-foreign-policy.com dokumentiert die zwei Landkarten, die dazu
im Juni 2006 im Armed Forces Journal in den USA veröffentlicht
wurden. Die zeitgeschichtlichen Dokumente konkretisieren
Umsturzpläne, die von der Türkei im Westen bis nach Indien im Osten
reichen.
Neue Perspektiven
Wie der französische Historiker Pierre Hillard urteilt, wird die
ethnizistische Aggression der westlichen Mächte durch die deutsche
Außenpolitik maßgeblich befördert. Hillard verweist auf
kontinuierliche Bemühungen deutscher Vorfeldorganisationen, die "den
Mittleren Osten neu modellieren" [5] wollen, und erwähnt in diesem
Zusammenhang die Aktivitäten der Bertelsmann-Stiftung. Die Stiftung
veranstaltet jährlich stattfindende Nahost-Foren ("Kronberger
Gespräche"), bei denen es um eine "vollständige Umgestaltung der
politischen, wirtschaftlichen und religiösen Insitutionen" der
muslimischen Ressourcenstaaten geht - "um sie fest an die
euro-atlantische Achse zu schweißen", sagt Hillard im Interview mit
www.german-foreign-policy.com/de. Wie es im Protokoll der
diesjährigen "Kronberger Gespräche" [6] heißt, sollten dem "schrittweisen
Ausbau der europäischen Präsenz in der Region" geeignete Mittel "der
amerikanischen Durchsetzungsfähigkeit" beigegeben werden. Der
Hinweis kombiniert diplomatische und subversive Aktivitäten
("Minderheitenrechte") mit kriegerischen Drohungen. Bei einem der
vorangegangenen Bertelsmann-Foren war verlangt worden, dass die
"administrativen und natürlichen Grenzen der Region ihre Bedeutung
schnell verlieren müssen, damit sich neue Perspektiven eröffnen".[7]
Unnatürlich
Die Parzellierung ganzer Staatensysteme ist Bertelsmann nicht
unbekannt. So empfahl die Stiftung am Vorabend des
Jugoslawienkrieges, "das ethnische Prinzip" [8] anzuwenden und gegen
Belgrad so genannte Volksgruppen zu mobilisieren - blutlich
definierte Minderheiten mit Anspruch auf Territorialrechte.
Ebenfalls für Bertelsmann entstand 1996 ein ethnischer Teilungsplan,
der Ungarn, Rumänien, Russland und den nördlichen Kaukasus
betrifft.[9] Ähnlich wie jetzt im "Armed Forces Journal" wird
mehreren UNO-Mitgliedern mit dem Verlust ihrer Staatlichkeit
gedroht. Dabei beruft sich der Bertelsmann-Autor auf angeblich
"unnatürliche" Grenzziehungen und klagt erfundene Stammesansprüche
von Blutsgemeinschaften ein.
Klappt
Die ethnizistische Aggression geht auf deutsche Politikansätze der
Bismarck-Zeit zurück. Postulierten ihre damaligen Theoretiker das
ständige "Fließen" von Staatsgrenzen, die dem biologischen Zug der
Stämme und "Volksgruppen" folgten, so heißt es heute im "Armed
Forces Journal", dass "Grenzen niemals statisch gewesen sind".[10]
Wegen "unnatürlicher" Territorialbildungen wechseln Grenzen "gerade
jetzt" ihre Gestalten, schreibt der amerikanische Militär-Autor:
"vom Kongo über den Kosovo bis zum Kaukasus". Über die dabei zur
Anwendung kommenden Mittel wird bereitwillig Auskunft gegeben. Man
könne "ein kleines schmutziges Geheimnis aus 5000 Jahren Geschichte"
verraten: "Ethnische Säuberung klappt".[11]
Näheres im Interview mit Dr. Pierre Hillard
[1] Gannett Co. Company Profile;
www.gannett.com/about/company_profile.htm 08.09.2006
[2] Ralph Peters: Blood Borders. How a better Middle East would look;
Armed Forces Journal Juni 2006
[3] Real Clear Politics; Author Archive 08.09.2006
[4] Ralph Peters: Blood Borders. How a better Middle East would look;
Armed Forces Journal Juni 2006
[5] Lesen Sie dazu das
Interview mit Dr. Pierre Hillard.
[6] Europa und der Nahe Osten; 10. Kronberger Gespräche,
14.-15.07.2006
[7] Lesen Sie dazu das
Interview mit Dr. Pierre Hillard.
[8] Walter von Goldendach, Hans-Rüdiger Minow: Von Krieg zu Krieg.
Die deutsche Außenpolitik und die ethnische Parzellierung Europas,
München 1999, S. 206.
[9] Georg Brunner: Gutachten über Nationalitätenprobleme und
Minderheitenkonflikte in Osteuropa, Bertelsmann, Reihe Strategien
für Europa, Gütersloh 1996
[10] Ralph Peters: Blood Borders. How a better Middle East would
look; Armed Forces Journal Juni 2006
[11] Im englischen Original: "Oh, and one other dirty little secret
from 5,000 years of history: Ethnic cleansing works."
Online-Flyer Nr. 61 vom
12.09.2006
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