Wer
sind die Kurden,Wer die Türken?
Sowohl die Türken als auch die
Kurden sind keine Fremden mehr in diesem Lande. Aber dennoch
ist dieses Land fremd zu uns. Es ist knapp vierzig Jahre
her, daß die ersten türkischsprachigen Arbeiter dem Land und
dessen Menschen begegnet sind. Kapellen musizierten damals,
als die Gast-Helden des Orients die Bahnhöfe der BRD
betraten. Seitdem sie hierher kamen (vielleicht auch erst
ein paar Jahre später), hat ein großer Teil der Deutschen
sich nur für das Datum deren Rückfahrt interessiert. Bis
heute haben selbst etliche linksorientierte keine Ahnung,
wer eigentlich Kurden und Türken sind, ob Kurdisch ein
Dialekt vom Türkischen ist, wieviel Kurden in der Türkei
leben? Diese und ,hnliche Fragen sind für viele Menschen
noch nicht geklärt. Oder besser gesagt, viele stellen sich
diese Fragen nicht einmal. Darum finde ich es nötig, daß die
- für manche bereits bekannte - Geschichte von Kurden in
einer verkürzten Form am Beginn dieses Artikels steht. Ein
bißchen Geschichte Im Osmanischen Reich gab es sehr viele
Völker. Die Kurden waren eines dieser Völker und lebten
damals, wie heute, zwischen und um die beiden Flüsse Euphrat
und Tigris herum. Wie alle anderen Völker auch haben die
damaligen Türken dieses Land "Kurdistan" genannt. Kurdistan
hatte im Osmanischen Reich eine Art von Autonomie. Diese Art
von Autonomie nennt man im alten Türkisch "Muhtariyet".
Kurden leben seit mehr als 4.000 Jahren in ihrer heutigen
Heimat. Ihr Land Kurdistan ist ca. 550.000 km2 groß. Weil es
bis jetzt keine vernünftige Volkszählung gegeben hat, kann
man keine genaue Zahlen nennen, aber eine Schätzung der Zahl
der Bevölkerung liegt - inklusive der Kurden außerhalb
Kurdistans - bei 30 Millionen. Die Sprache Kurdisch wird zu
den indo-germanischen Sprachen gezählt und gliedert sich in
drei große Dialekte. Der meist gesprochene Dialekt Kurmanci
wird fast von 75% der Bevölkerung gesprochen. Die anderen
großen Dialekte heißen Sorani und Zazaki. Kurden haben in
ihrer Geschichte, auf ihrem heutigen Territorium viermal
Staaten gegründet. Diese hießen: Karduk, Goti, Mervani und
Med (der kurdische TV Sender MED-TV hat sich danach
benannt.) Mit der französischen Revolution sind die Völker
der Welt auf die Idee gekommen, reine Nationalstaaten zu
gründen. Das erste kurdische Nationalbewußtsein l,ßt sich
schon vorher, bei einem kurdischen Dichter, mit dem Namen
Ahmede Xani im 16. Jahrhundert, finden. Die Kurden haben
auch wegen des aufkommenden Bewußtseins gegen das Osmanische
Reich - im Jahre 1805 - unter der Führung von Abdurrahman
Balaban, im heutigen Irak in Süleymaniye, einen Aufstand
versucht, allerdings ohne Erfolg. Später haben die Kurden in
verschiedenen Orten Kurdistans insgesamt 27mal für die
Anerkennung als eigene Nation revoltiert. Zu den wichtigen
Aufständen kann man "S÷eyh Sait", "Dersim", "Agri" und den
heutigen Aufstand zählen. Auf den letzten Aufstand werde ich
gleich zurückkommen. Im ersten Weltkrieg hat das Osmanische
Reich auf das falsche Pferd gesetzt, und am Ende des Krieges
stand es auf der Seite der Verlierenden. Das Osmanische
Reich war sowieso durch viele Aufstände erheblich
geschwächt. Und dieser Schlag war der letzte Schlag für das
schwache Reich. Trotz alledem besaß das Osmanische Reich
noch viele Länder. Kurdistan war eins von diesen.
Geographisch wichtige Lage Geographisch betrachtet liegt
Kurdistan an einem wichtigen Punkt. Früher hat man darunter
"die Seidenstraße" verstanden. Seit der Entdeckung des Öls
hat man darunter "Öl und Wasserquellen" verstanden. Daß
Kurdistan in einem wasserarmen Gebiet zwei wichtige und
große Flüsse beheimatet, war für viele westliche Länder ein
Grund, um ihre imperialistischen Pläne dort zu realisieren.
Weder Groß-Britannien noch Frankreich wollte dort einen
starken Staat sehen. Deshalb haben diese Länder nach dem
Ersten Weltkrieg das Osmanische Reich besetzt. Später kamen
auch Italien und Griechenland nach Anatolien. Weil die
Besetzer in ihren Besatzungszonen nicht ewig bleiben
wollten, haben sie sich etwas einfallen lassen. Sie wollten
dort unter ihrer Kontrolle Länder gründen lassen, um dieses
Gebiet - anders gesagt die Öl- und Wasserquellen - weiter
ausbeuten zu können. Mit dem Vertrag von "Sevrier" haben sie
dieses Ziel verfolgt. Die "guten, modernen, gerechten usw.
usf." westlichen Länder wollten auch die Kurden "befreien!"
Nach der Besetzung hat Mustafa Kemal Atatürk gegen o. g.
Länder ein Krieg begonnen. Er hat in Erzurum und Sivas
(Städte in der Türkei) unter anderem mit vielen kurdischen
Herren gesprochen und um ihre Hilfe gebeten. Im Jahr 1918
versprach Mustafa Kemal den Kurden, ein gemeinsames und
freies Land zu gründen. Das Land sollte Kurden und Türken
zusammen gehören. Bis zum Ende des Krieges hat M. Kemal
dieses erzählt. Aber nur bis zum Ende des Krieges. Im
September 1923 haben die Kurden und die Türken das
gemeinsame Ziel erreicht und den Krieg gewonnen. Aber M.
Kemal hat sein Versprechen vergessen und wollte, daß das
Land denen gehört, die sich als Türken bezeichnen. Das
unterstrich er in einer Rede mit folgenden Worten: "Sie
sollen stolz sein, sich Türken zu nennen". Im September 1917
haben sich bekanntlich die Bolschewisten in Rußland
durchgesetzt und die Monarchie des Zaren beendet. Um sich
vor dieser "kommunistischen Gefahr" zu schützen, haben sich
die westlichen Länder für den Partner Türkei entschieden und
in Lausanne im Jahre 1923 einen Vertrag unterschrieben. In
dem Vertrag stand kein Wort von Kurdistan. Das war ein neuer
Anfang des kurdisch-türkischen Konfliktes. Neuer Abschnitt
des Konfliktes Sofort nach der Gründung des türkischen
Staats ging M. K. Atatürk mit einem unerwarteten
Assimilationsterror gegen das kurdische Volk vor. Jeder
kurdische Aufstand wurde im Rahmen dieser Terrorpolitik
brutal niedergeschlagen. Danach ging alles konsequent
weiter. Es wurden Hunderte von Gesetzen gegen das kurdische
Volk erlassen. Das bekannteste dieser Gesetze ist das Verbot
der kurdischen Sprache. Das Verbot wurde am Ende der 80er
Jahre theoretisch aufgehoben. Praktisch ist es noch da.
DieKurdische ArbeiterparteiKurdische Arbeiterpartei
Kurdische Arbeiterpartei PKK oder der letzte Aufstand In den
70er Jahren gab es in der Türkei eine ganz wichtige linke
Studentenbewegung, und Abdullah Öcalan war damals in Ankara
einer von vielen Studenten, die in dieser Bewegung waren. Er
und seine Genossen gründeten 1978 eine radikale
Untergrundpartei mit dem Namen "Kurdische Arbeiterpartei".
Diese Partei wollte Kurdistan befreien und begann daher im
15. August 1984 ihren Guerillakampf. Seitdem wurde über
Kurdistan der Ausnahmezustand verhängt. Spezialeinheiten der
türkischen Polizei und Anhänger der Grauen Wölfe (Anhänger
der faschistischen Nationalisten-Partei in der Türkei, MHP)
wurden von der Regierung bewaffnet, um die kurdischen
Autonomiebestrebungen zu bekämpfen. 1991 gab es ein Attentat
auf den kurdischen Politiker Vedat Aydin. Seither werden
kurdische Intellektuelle nicht mehr verhaftet, sondern
ermordet. Die Täter werden nie gefaßt. 1993 war die PKK auf
dem Höhepunkt ihrer Kräfte und rief die türkische Regierung
zum Waffenstillstand auf. Um ein Einlenken der türkischen
Regierung zu ermöglichen, erklärte sie einen einseitigen
Waffenstillstand. Die PKK versuchte das Gleiche 1995 und
1998 noch zweimal, aber jedes Mal wurde dieser Aufruf
ignoriert. Die Arroganz des türkischen Staates gegenüber
jeglicher kurdischen Opposition tauchte hier noch einmal
auf. Die türkischen Politiker zerschlagen jede Hoffnung auf
einen Frieden. Europa, Kurden, Solidarität, Lösung Die
kurdischen Aktionen gegen die Verschleppung von Öcalan waren
im Grunde genommen ein nicht weitblickendes Fehlverhalten.
Das Ergebnis ist: Millionen Mark von Schaden, vier ermordete
Kurden, Hunderte Festnahmen, Abschiebungen... Die Reaktion
der deutschen Machthaber bzw. Koalition darauf war ein
rechtes und ebenfalls aggressives Vorgehen. Am Ende hieß es
noch einmal, die Probleme der Kurden seien nicht hier in
Europa zu lösen, sondern in ihren Herkunftsländern. Das mag
zum großen Teil richtig sein. Aber was diese Herren nicht
sehen ist: Es hat sich praktisch in der Vergangenheit
herausgestellt, daß diese Herkunftsländer nicht in der Lage
sind, ihre politischen Probleme ohne Gewalt zu lösen. Daß
solche Gewaltlösungen auf Dauer kein Ausweg, sondern ein
Grund für potentielle Konflikte sind, haben sie
offensichtlich nicht verstanden. Daß die westeuropäischen
Länder durch Waffenlieferungen bzw. Verkauf an diese
politisch unterentwickelten, gewaltbereiten Länder seit
langem für die Unterdrückung und Ermordung des kurdischen
Volkes mitverantwortlich sind, haben auch diese
"sozialdemokratischen" Herrschaften nicht verstanden. Trotz
alledem werden diese ganzen Ereignisse, die durch die
spontane und emotionale Wut der Kurden zustande kamen, der
Sache der Kurden nicht dienlich sein. Vor allem müssen die
Kurden sich von solchen gewalttätigen Aktionen distanzieren.
Daß die Kurden, wie alle anderen Völker, nicht gewaltbereit
oder Terroristen sind, müssen sie zeigen. Es mag sein, daß
die Kurden vor 15 bis 16 Jahren außer Waffen keine andere
Möglichkeit gesehen haben und deshalb die Waffen in die Hand
genommen haben. Aber es sind jetzt andere Mittel vorhanden:
Nämlich politische Mittel, und diese können noch stärker
wirken als ein Kampf mit Waffen. Die Kurden dürfen ihren
sberlebenskampf nicht mehr radikalisieren. Aber nicht nur
die Kurden, auch die Unterstützer der Kurden dürfen ihre
Solidarität nicht mehr in ultralinken Grenzen einschränken.
Wenn diese Solidarität tatsächlich Vorteile für die Kurden
bringen soll, müssen die Freunde der Kurden ihre
Öffentlichkeitsarbeit nicht nur in ihrem Freundes- oder
Genossenkreis präsentieren. Keiner darf den kurdischen
sberlebenskampf als "sozialistischen Befreiungskampf" an die
Öffentlichkeit tragen. Ich sage hier nicht, daß die Kurden
sich von sogenannten "Autonomen" (was das auch immer
bedeuten soll) total trennen sollen. Aber so geht es auch
nicht weiter, daß die europäischen oppositionellen Linken
infolge ihrer Prinzipen die Zusammenarbeit mit den
Gewerkschaften, den sozialdemokratischen Parteien, den
Grünen, den Kirchenkreisen ablehnen und gegenüber Liberalen
und Konservativen nur Parolen brüllen. Egal ob die
potentiellen oder tatsächlichen Wähler der rechten Parteien
"ausländeröfeindlicher sind. Diese Menschen haben bis jetzt
nur vom angeblichen "Terror der Kurden" gehört. Diese
Menschen haben vom Terror des türkischen Staates, über die
kurdische Bevölkerung nichts gehört. Diese Menschen haben
von den Kurden, die gezwungen wurden, ihren eigenen Kot zu
essen, nichts gehört. Sie haben nur von den Kurden etwas
erfahren, die die Autobahnen blockiert haben. Warum? Warum
haben immer wieder nur dieselben Menschen die kurdischen
Meinungen erfahren, aber die rechts-, sozialdemokratisch-
oder liberalorientierten Menschen nicht. Ich behaupte hier
nicht, daß man diese ganz einfach erreichen und überzeugen
kann. Aber das wurde weder von Kurden noch von deren
Freunden ernsthaft versucht. Herr Abdullah Öcalan wurde
durch einen internationalen Komplott in die Türkei
verschleppt. Schon in den ersten Bildern im Flugzeug haben
wir gesehen, wie er erniedrigt wurde. Das haben viele Türken
sich seit Jahren gewünscht. Aber eigentlich haben sie in
seiner Persönlichkeit das ganze kurdische Volk erniedrigt.
Die ganze Welt hat gesehen, wie er durch irgendwelche Drogen
machtlos und niedergeschlagen vorgeführt wurde. Die Kurden
mußten ihre Reaktionen zeigen. Anders wäre es nicht denkbar.
Aber nicht in dieser Art und Weise. Die türkischen Medien
haben tagelang ihren Haß gekotzt. Die Fernsehsender
strahlten die Meinungen "des einfachen Bürgers" auf die
Frage "was würdest du mit Öcalan machen, wenn man ihn in
deine Hände geben würde?" Unmenschlichste Antworten wurden
tagelang gezeigt. "Die Meinung" "der Türken". All dieses
sind Vorbereitungen zu seinem Tode. Er wird sehr
wahrscheinlich nach einer "fairen Gerichtsverhandlung"
aufgehängt. Und die ganze "moderne" Welt wird diese "innere
Angelegenheit der Türkei" stillschweigend ansehen. Außer den
Kurden, die wahrscheinlich nicht wissen werden, wie sie ihre
Wut ausdrücken sollen. Hören Sie, Meine Damen und Herren,
die Lösung ist wirklich nicht so kompliziert, wie es seit
Jahren propagiert wird. Die Wurzeln des Konfliktes liegen
tatsächlich tief in der Erde, aber sie sind dennoch lösbar.
Nach einem Waffenstillstand einschließlich einer generellen
Begnadigung muß man, mindestens im türkischen Teil
Kurdistans, den Kurden ermöglichen, ihr
"Selbstbestimmungsrecht" zu benutzen. Gott sei Dank haben
trotz alledem die türkischen Machthaber die Türken und die
Kurden nicht vollständig verfeinden können. Selbst nach so
einer schwierigen Situation können die beiden Völker weiter
zusammenleben. Auch innerhalb der Türkei. Und weil die
türkischen Machthaber nicht in der Lage sind, diesen
Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen, müssen die
europäischen Länder diesen Konflikt gegen deren und
US-amerikanischen Willen zu einer politischen Lösung
bringen. Sonst wird dieses Feuer alle verbrennen. Mehmet
Mustafa Sahin Quelle: http://www.stachel.de/
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