Nordkurdistan
1920: (Juli) In der Provinz Sivas fand der
sogenannte Kocgirî- Aufstand statt. Die erste Phase begann im Juli 1920
und wurde nach Bekannt werden des Friedensvertrages von Sevres
intensiver. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, und viele
Anführer hingerichtet. Einige flüchteten nach Dêrsim, wo sie sich am
späteren Dêrsim-Aufstand in den späten 30er Jahren beteiligten.
1923: (24. Juli) Der Friedensvertrag von Lausanne beendet den
Krieg zwischen der Türkei und den Griechen zugunsten der Türkei. Am 28.
Oktober wird von Kemal Atatürk die Türkische Republik ausgerufen. Obwohl
es im Lausanner Vertrag anders geregelt ist, gibt es nach dem Kemalismus
keinen Platz für andere Völker in der Türkei. Es beginnt die Politik der
Zwangsassimilation.
1925: (Februar bis April) Aufstand unter Führung von Shêx Said.
1927: (August) Gründungskongress von Xoybûn (Unabhängigkeit),
einer nationalen kurdischen Liga. Darin schließen sich alle möglichen
Organisationen und Parteien zusammen, die nach dem, 1. Weltkrieg
gegründet worden waren.
1928: In den kurdischen Gebieten wird die gesamte zivile und
militärische Verwaltung unter die Kontrolle eines „Generalinspekteurs
des Ostens" gestellt. Als Antwort darauf brechen in fast allen Regionen
Aufstände aus.
1930: Xoybûn schafft es, eine große Widerstandsbewegung in der
Region des Berges Ararat, den Ararat Aufstand, zu organisieren. Die
Bewegung wird angeführt von Ihsan Nurî Pasha. Die politische Forderung
lautet: Unabhängigkeit für die Kurden. Aufgrund einer gemeinsamen
Vereinbarung zwischen dem Iran und der Türkei (1932) werden iranische
und türkische Truppen gegen sie eingesetzt.
1932: (Mai) Ankara verkündet ein Gesetz zur Deportation und
Versprengung der Kurden. Mehrere 100.000 Kurden werden nach Zentral-
oder Westanatolien deportiert.
1936-1938: Bewaffneter Widerstand der Kurden von Dêrsim
(türkisch: Tunceli). Wird brutal niedergeschlagen, danach erfolgen
erneut Deportationen – Dêrsim Genozid.
1937: Saadabad-Abkommen zwischen der Türkei, dem Irak, dem Iran
und Afghanistan, in dem auch ein koordiniertes Vorgehen bei der
Bekämpfung der Kurden vereinbart wird.
1938: (10. November) Tod von Mustafa Kemal Atatürk.
1945: Die Einführung des Mehrparteiensystems soll die
europäischen Länder und die USA dazu bringen, mehr finanzielle
Unterstützung an die Türkei zu geben. Real bleibt die Neuerung ohne
Auswirkungen auf die Lage der Kurden.
1946: Aufhebung des Kriegszustandes in den kurdischen Provinzen.
1950/51: Kurdische Familien aus Dörfern in der Region Wan werden
zwangsdeportiert. In ihren Häusern werden türkische Familien aus
Bulgarien und Jugoslawien angesiedelt.
1960: Am 27. Mai putscht das Militär unter Führung von General C.
Gürsel gegen die korrupte Regierung von Menderes, der hingerichtet wird.
Eine verfassungsgebende Versammlung wird einberufen, die eine neue
türkische Verfassung ausarbeitet. Diese ist bedeutend liberaler als die
vorhergehende, garantiert aber keine erweiterten Rechte für die Kurden.
Kürtcülük, so wird in der türkischen Sprache der so genannte „kurdische
Separatismus" genannt, wird in der neuen Verfassung zum Staatsverbrechen
erklärt. Anfang November wird in der türkischen Zeitung Yeni Istanbul
berichtet, dass es erneut zu neuen Massendeportationen kurdischer
Familien gekommen sei.
1965: Gründung der Kurdischen Demokratischen Partei der Türkei,
KDP- Türkei (PDK- Bakûr). Zum ersten Mal dürfen ausländische Besucher
nach Nordkurdistan einreisen. Die Region war seit 1925 „für Ausländer
verbotenes Militärgebiet".
In dieser Zeit beginnen auch große Demonstrationen gegen Hunger, Armut
und ethnische Diskriminierung.
1967: Das „Gesetz zur Kulturpflege" bestimmt ein Verbot
kurdischer Literatur und Musik.
1969: Gründung der „Revolutionären Kulturvereinigungen des
Ostens" mit dem Ziel, die türkische und Weltöffentlichkeit über das
kurdische Problem und über die Repressionen in den kurdischen Regionen
zu informieren. Massives Vorgehen der türkischen Armee gegen diese
Kulturvereinigungen in den folgenden Jahren. In der Regierung wird
darüber diskutiert, einen „türkischen Gürtel" entlang der Grenzen zum
Irak und Syrien einzurichten, analog zum „arabischen Gürtel", mit dem
Syrien zehntausende kurdischer Bauern aus den grenznahen Dörfern
umzusiedeln gedachte.
1971: Am 12. März putscht das Militär unter Führung von General
Tagmac und Nihat Erim erneut. Linke
Parteien und Organisationen werden verboten. Eine „starke Regierung"
wird eingesetzt. Mehrere tausend „kurdische Separatisten" werden
verhaftet und eingesperrt. Sie werden vor Ausnahmezustandsgerichten
abgeurteilt. Damit soll auch der von dem erfolgreichen kurdischen Kampf
im Süden (Nordirak) überspringende Funken rechtzeitig ausgetreten
werden.
1972: Deportation von mehr als 3.000 Bauern aus der Provinz
Hakkari (Culêmerge).
1973: Im Oktober wird wieder eine parlamentarische Regierung
eingesetzt. Bülent Ecevit, Vorsitzender der Republikanischen Volkspartei
CHP, wird Präsident.
1974: Gründung der Sozialistischen Partei Kurdistan, Türkei PSKT
in Ankara. Herausgabe verschiedener Zeitungen in kurdisch und türkisch.
Nach Verhängung des Ausnahmezustandes 1978 stellt die Organisation in
der Türkei ihre Arbeit ein. Die meisten Mitglieder gehen nach Europa ins
Exil, wo sie heute unter dem Namen KOMKAR arbeiten. Gründung des Vereins
der Demokratischen Arbeiter Kurdistans KKDK.
1976: Gründung der Jugendorganisation der Sozialistischen Partei
Kurdistans, Türkei PSKT mit dem Namen „Revolutionäre Kulturvereinigung
des Volkes" DHKD.
(November) Bei einem schweren Erdbeben in der Region Wan kommen mehrere
tausend Menschen ums Leben. Viele sterben an den Folgen ihrer
Verletzungen und werden Opfer der Winterkälte. Mehr als 100.000
kurdische Bauern und ihre Familien werden obdachlos. Der örtliche
(türkische) Militärkommandant wird in einer Zeitung zitiert mit dem
Satz: „Lasst die Leute doch sterben, es sind ja nur Kurden.“
1976 und die folgenden Jahre: Europäische Journalisten und in den
kurdischen Grenzgebieten arbeitende ausländische Arbeiter berichten von
ständiger Bedrohung, Verfolgung, Erniedrigung der kurdischen
Bevölkerung, insbesondere der Frauen in den Gebieten des
Ausnahmezustands, in Nordkurdistan. Tausende kurdischer Familien werden
aus ihren Dörfern deportiert.
1977: Gründung der KUK, Partisanen der Nationalen Befreiung
Kurdistans. Gründung von Rizgari (Befreiung). Die Spaltung erfolgt 1979.
Änderung der Organisation 1983 in die Kommunistische Partei Kurdistans,
die sich aber bereits Ende 1984 wieder auflöst.
1978: Am 27. November wird die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK,
gegründet. Es kommt zu großen Streiks gegen die zunehmende
Wirtschaftskrise. Rechtsextreme Todesschwadronen der „Grauen Wölfe"
greifen aktiv führende Streikende an. Am 23. Dezember ermordeten
sunnitische Anhänger Erbakans (Necmettin Erbakan ist Chef der
reaktionären und islamischen Nationalen Heilspartei, MSP, heute RP,
Refah Partisi) 111 linke kurdische Einwohner von Meresh (Kahramanmaras),
die meisten von ihnen Alewiten. Die Mörder werden dabei vom Geheimdienst
unterstützt. Wenige Tage später verhängt Ecevit den Ausnahmezustand über
acht kurdische Provinzen. Ebenso über Meresh, Sivas, Istanbul, Ankara
und Adana - die Zentren der Streikbewegung.
1979: (25.4.) Der Ausnahmezustand wird auf sechs weitere
kurdische Provinzen erweitert.
1980: Am 12. September putscht General Evren mit Unterstützung
der NATO. Die Rolle der USA, die mit dem Sturz des Schah von Persien
einen Bündnispartner in der Region verloren hat, muss bei diesem Putsch
beachtet werden. Stationierung der schnellen Eingreiftruppen der NATO im
Herzen Kurdistans, in Wan und Batman. Evren begründet den Putsch auch
damit, „zu den Quellen des Kemalismus zurückkehren" zu wollen und „die
separatistischen Umtriebe zu bekämpfen". Der Putsch richtet sich
eindeutig gegen die starken linken und kommunistischen Kräfte in der
Türkei. Tausende von politischen Gefangenen werden gefoltert und zum
Tode verurteilt. Die PKK zieht sich in den Libanon zurück. Türkische und
kurdische oppositionelle Gruppen gehen ins Exil, die meisten nach
Europa.
1982: Großer Hungerstreik in den Gefängnissen. Am 10. August wird
durch ein Referendum eine neue. Verfassung angenommen. Gegenüber den
Kurden enthält sie die restriktivsten Gesetze seit Gründung der
Türkischen Republik. Fortgesetzte Bombardierungen und Razzien kurdischer
Dörfer.
1984: Am 15. August nimmt die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, den
bewaffneten Kampf gegen das türkische Regime auf.
1986: (14.1.) Meldung in der Zeitung Hürriyet: „Soldaten als
Lehrer zur Entwicklung der Ostprovinzen. Ein Gesetzentwurf, der
vorsieht, Soldaten als Lehrer einzusetzen, wird wahrscheinlich nächste
Woche vom Verteidigungsministerium an das Parlament überwiesen. Mit
dieser Maßnahme soll vor allem in den 'zu entwickelnden' Provinzen der
Lehrerfehlbedarf gedeckt werden. Außerdem sollen an 23 Internatsschulen
in Ost- und Südostanatolien (Kurdistan) Offiziere im Dienstrang von
Major und Oberstleutnant als Schulleiter versetzt werden. Wie ein
Vertreter des Generalstabs erklärte, sei eine solche Regelung nach §124
des Gesetzes Nr. 926 über das Personal der türkischen Streitkräfte
möglich.“
1988: Aufgrund der großen Flüchtlingswelle von Kurden aus dem
Süden (Nordirak), vor den Angriffen der irakischen Armee, werden in den
kurdischen Gebieten der Türkei Flüchtlingslager mit internationaler
Unterstützung eingerichtet.
1990: Newroz: „Kurdische Intifada" - Serhildan.
Gründung der HEP; Ermordung des HEP-Politikers Vedat Aydin.
Ministerpräsident Özal (ANAP) spricht zum ersten Mal von „seinen
kurdischen Mitbürgern". Am 10. August geht beim Europarat in Straßburg
eine offizielle Note der türkischen Regierung ein, dass in den
kurdischen Gebieten der Türkei fortan die Menschenrechte außer Kraft
gesetzt sind.
1991: Mitte März empfängt Özal eine Delegation irakischer
Kurdenvertreter. Im April fliehen vor dem Ansturm irakischer Truppen
Hunderttausende von Kurden in die Türkei und den Iran. Die Türkei
berichtet von 250.000 südkurdischen Flüchtlingen auf ihrem Boden.
Allerdings hält sie die Flüchtlinge in den Bergen fest. Die Zahl steigt
ständig. Täglich sterben in den provisorischen Lagern bis zu 1.000
Menschen. Durch Einrichtung der Alliierten Schutzzone (UN-Resolution Nr.
688) werden die Flüchtlinge aus der Türkei in den Süden (Nordirak)
zurückgeführt.
1992: (18.8.) 70 % der kurdischen Stadt Shirnak werden durch
türkisches Militär mit schweren Waffen vernichtet. (20.9.) Ermordung des
70jährigen Journalisten, Schriftstellers und Mitbegründers der HEP, Musa
Anter in Diyarbakir. (23.10.) Festnahme des deutschen freien
Journalisten Stefan Waldberg bei seiner Rückkehr aus Südkurdistan. Wegen
angeblicher Kuriertätigkeit für die PKK wird er zu 3 Jahren und 9
Monaten Haft verurteilt.
(20.11.) Europaweite und GUS-Wahlen zum kurdischen
Exil-Nationalparlament.
1993: (23.2.) Strafanzeige deutscher Politiker, Anwälte und
Organisationen gegen die Bundesregierung wegen Beihilfe zum Völkermord
an den Kurden. Einseitiger Waffenstillstand der PKK vom 20.3. bis 5.5.
(17.4.) Plötzlicher Tod von Özal. Neuer Staatspräsident wird Suleyman
Demirel.
(Mai) Gründung der DEP (Juni) Verbot der HEP
(2.7.) Anschlag in Sivas auf systemkritische Schriftstellerinnen und
Schriftsteller um Aziz Nesin. 37 Menschen verbrennen in einem Hotel.
(4.9.) Ermordung des kurdischen DEP-Abgeordneten im türkischen
Nationalparlament, Mehmet Sincar in Batman.
Nizamettin Toguc, ebenfalls DEP- Abgeordneter, wird schwer verletzt.
(22.10.) Zerstörung der kurdischen Stadt Lice durch türkisches Militär.
(Nov.) PKK Verbot in Deutschland. (20.11.) 17 kurdische Abgeordnete des
Nationalparlaments der Türkei beantragen bei der KSZE die Bildung eines
ständigen Beobachter-Komitees zum Schutz der Kurden in der Türkei.
(10.12.) Internationaler Tag der Menschenrechte - Türkische
Sicherheitskräfte stürmen die Zentralredaktion der prokurdischen Zeitung
Özgür Gündem in Istanbul und verhaften insgesamt 210 Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen.
1994: (27.3.) Die Kommunalwahlen werden von der DEP boykottiert.
Als Grund werden unzureichende Bedingungen für freie und demokratische
Wahlen genannt.
(2.3.) Verhaftung von sechs kurdischen DEP Abgeordneten im türkischen
Parlament, nachdem ihre Immunität aufgehoben wurde.
(12.3.) Auf der Internationalen Nordkurdistan-Konferenz in Brüssel wird
eine politische Lösung des Krieges gefordert. Der ERNK Vertreter Kani
Yilmaz verliest eine Erklärung des PKK-Vorsitzenden Öcalan, in der die
Bereitschaft zu Verhandlungen bekräftigt wird. (März) Verbot von
kurdischen Neujahrsfesten in Deutschland, gegen die Kurdinnen und Kurden
mit Autobahnblockaden protestieren. In der Nähe von Mannheim verbrennen
sich zwei junge Kurdinnen aus Protest gegen die deutsche Politik. In der
Türkei wird zum ersten Mal auf staatliche Anordnung hin das kurdische
Newroz gefeiert.
1995: März/April: Die türkische Armee marschiert mit 50.000
Soldaten in die kurdischen Gebiete des Nordirak ein. Angebliches Ziel:
Camps der PKK. Im November zerbricht die Regierungskoalition von DYP und
CHP. (12.12.) Aufnahme der Türkei in die Europäische Zollunion. (15.12.)
Erneutes einseitiges Waffenstillstandsangebot der PKK im Vorfeld der
vorgezogenen Neuwahlen am 24.12. in der Türkei.
(24.12.) Bei vorgezogenen Parlamentswahlen gewinnt die islamische
Refah-Partei (Gerechtigkeitspartei) mit dem Vorsitzenden Necmettin
Erbakan.
1998: Im Oktober dieses Jahres musste Öcalan seinen
Aufenthaltsort in Syrien verlassen, nachdem die Türkei Syrien mit Krieg
gedroht hatte. Versuche, in Europa politisches Asyl und Unterstützung
für eine politische Lösung zu erhalten, schlugen fehl.
1999: Nach einer Odyssee durch verschiedene Länder wurde Öcalan
am 15. Februar in Kenia, nach dem Verlassen der griechischen Botschaft
entführt. Über eine Beteiligung des Mossad und der CIA wird spekuliert,
es existieren dafür jedoch keine Beweise. Für Anhänger von Öcalan gilt
der 15. Februar seitdem als ein Trauertag (Schwarzer Tag) und wird
jährlich mit Demonstrationen begangen.
(29.6.) Öcalan wird vor dem Staatssicherheitsgericht Ankara wegen
Hochverrates zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde unter anderem auf
europäischen Druck hin nicht vollstreckt.
2002: Aufhebung der Todesstrafe in Friedenszeiten und Umwandlung
der Todesstrafe in lebenslange Haft. Öcalan sitzt seit dem 15. Februar
1999 in Isolationshaft auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer. Von
dort meldet er sich mit Hilfe seiner Anwälte in Form von
Gesprächsprotokollen zu Wort. |